Der Herrenberger Altar des Jerg Ratgeb

Herrenberger Altar

File:1520 Ratgeb Herrenberger Altar anagoria.JPG – Wikimedia Commons

Das ehemalige Prunkstück der Herrenberger Stiftskirche, der 1519-1521 entstandene „Herrenberger Altar“ des Malers Jerg Ratgeb (ca. 1480-1526), befindet sich heute leider nicht mehr an seinem ursprünglichen Standort. In der Stiftskirche gibt es heute nur noch ein kleines Klappmodell des Altars, vorne rechts im südlichen Seitenschiff. Daneben ein Schwarzweißfoto von 1929: damals, anlässlich der 700-Jahrfeier der Stadt, durfte der Altar für kurze Zeit auf seinen alten Platz zurückkehren.

Als um 1890 die Stiftskirche im neugotischen Stil renoviert wurde, entsprach der Altar nicht dem Zeitgeschmack. Der federführende Architekt Christian Friedrich von Leins und der zuständige Prälat Dr. Georg Heinrich von Merz kritisierten die Bilder und den Künstler Jerg Ratgeb derart, dass der Stiftungsrat den Verkauf an die königliche Gemäldesammlung in Stuttgart beschloss. Der Erlös betrug 5000,– Mark.

Konzipiert war der Altar als Teil der wohldurchdachten Ausstattung des Chores der Stiftskirche, der den frommen und gebildeten  „Brüdern vom gemeinsamen Leben“ als Andachtsraum diente. Zu dem komplizierten theologischen Bildprogramm des Chorraumes gehörten außerdem die in der Reformation zerstörten bemalten Glasfenster des Chores (1515/16) und das Chorgestühl (1517).

Für den neuen, der Kirchenpatronin Maria geweihten Hauptaltar wurde ein älterer, heute nicht mehr erhaltener Altarschrein mit neuen Bildtafeln ausgestattet. Als Künstler beauftragte man Meister Jerg Ratgeb, der sich durch Arbeiten in Heilbronn, Schwaigern und Frankfurt einen guten Ruf erworben hatte. Ratgeb ist vielen bekannt durch sein tragisches Ende im Bauernkrieg. Als Mitglied einer von den aufständischen Bauern erzwungenen Delegation der Stadt Stuttgart geriet er zwischen die Fronten, wurde des Verrats angeklagt und 1525 in Pforzheim gevierteilt.

Der Altar war durch den nicht mehr vorhandenen Lettner den Blicken der Gemeinde entzogen, seine Botschaften richteten sich nur an die Chorherren. Dargestellt sind der Apostelabschied sowie Szenen aus der Passion und aus dem Marienleben in einer starkfarbigen, expressiven und dennoch sehr detailreichen Malweise, zeittypisch für den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Die Rahmen der Bilder sind mit bedeutungsvollen biblischen Texten beschriftet, während viele Elemente der Darstellungen einen theologisch-symbolischen Sinn haben. So steht z.B. eine Fliege, die in den Mund des Judas fliegt, für den Satan, der beim Letzten Abendmahl in ihn fährt (Joh 13,27). Es lohnt sich auf jeden Fall, den Herrenberger Altar im Original zu besichtigen. Er steht heute in der Staatsgalerie Stuttgart.